Freitag, 27. September 2013

Weinrallye #67 - Politik & Wein: Dornen statt Reben

Für die aktuelle Weinrallye habe ich einen sehr kompetenten und engagierten Gast-Autor gewonnen. Mein Freund Uli Stein steht für wunderbare Rieslinge und das Haus Waldfrieden mit seiner besonderen Ausstrahlung und vielen kulturellen Veranstaltungen. Seine Mosel-Heimat liebt er über alles und er schaut nicht weg, wenn etwas im Argen liegt. In diesem Zusammenhang beschäftigt er sich schon länger mit den unguten Veränderungen einer der ältesten Kulturlandschaften Deutschland.



Dornen statt Reben!

Die Erhaltung historischer Steillagen an der Mosel
von Dr. Ulrich Stein , Winzer und Weinwissenschaftler, Alf/ Mosel

Der "Grundstein" für den Moselweinbau wurde bereits vor 400 Millionen Jahren gelegt. Im Zeitalter des Devon war die Region noch ein Ur-Ozean, in dem sich riesige, kilometerhohe Sedimente bildeten. Als die Urkontinente Gondwana und Laurussia in Folge tektonischer Bewegungen zusammenstießen, wurde der Ur-Ozean zwischen den Kontinentalplatten zusammengeschoben und der Meeresboden unter großem Druck und hohen Temperaturen zusammengepresst. Die Sedimente versteinerten zu Schiefer und Sandstein und falteten sich zum Rheinischen Schiefergebirge auf. Vor rund 15 Millionen Jahren begann die damals breite und geradlinige Ur-Mosel die Landschaft zu formen und grub sich in den letzten 3 Millionen Jahren immer tiefer und kurvenreicher in das Schiefergebirge ein.

Bildnachweis: Dr. Ulrich Stein


Der Weinbau an der Mosel hat schon viele Krisen erlebt - und überlebt! Aber jetzt droht vielen alten Rieslingreben in besten Schiefer-Steillagen das endgültige Aus. Und das flächendeckend.

Während einerseits bei Weinversteigerungen tausende Euro für eine Flasche Moselriesling gezahlt werden und es vielen selbstvermarktenden Weingütern gut geht, wurde andererseits für tausend Liter Riesling Fasswein vom Weinhandel 600 Euro gezahlt. Viele kleine Nebenerwerbswinzer und –winzerinnen, die bisher extrem steile, landschaftsprägende, uralte Weinberge bewirtschaftet haben, geben endgültig auf. Dies ist nicht nur wirtschaftlich sondern auch „psychologisch“ begründet: wenn die vielbeschworene „heldenhafte“ Arbeit in den Steillagen nicht nur keinen Gewinn bringt, sondern massive Verluste verursacht, bedeutet das letztendlich auch eine extrem geringe Wertschätzung eben dieser Arbeit und der beteiligten Menschen.

Die Ursachen dieser fatalen Entwicklung sind vielfältig und komplex. Von allen Beteiligten, d.h. Weinkellereien, Winzern, Beratern und dem Gesetzgeber wurden viele Fehler gemacht, hier eine kleine Auswahl:
· Viele Weinkellereien haben - vor allem - in der Vergangenheit zu wenig Wert auf Qualität gelegt, häufig Schrott eingekauft und vermarktet (Hauptsache billig!) und den Namen Riesling und Mosel in die Billigzone der Supermarktregale gerückt – und da kommen sie jetzt nicht mehr raus.
· Etliche Winzer haben die entsprechenden Weine produziert, jeden Preis akzeptiert, Ihren Kindern vor allem die eigene Frustration vermittelt und dieselbigen durch „Wort und Tat“ eindringlich vor dem Beruf des Winzers gewarnt.
· Beratung und Gesetzgebung haben sich zu einseitig auf den Zuckergehalt als alleiniges Qualitätskriterium fixiert, „falsche“ Rebsorten (Kerner) und fragwürdige Weinbehandlungsmethoden (Süßreserve, Entsäuerung) propagiert.
· Und letztendlich geben 90 % der Verbraucher maximal 2,99 für eine Flasche Wein aus, egal, ob auf dem Etikett Riesling aus der Steillage oder Pinot Grigio aus der Poebene draufsteht.


Bildnachweis: Dr. Ulrich Stein


All dies klingt pessimistisch, doch dazu besteht leider Anlaß. In meinem Heimatdorf St. Aldegund werden in den besten Steillagen in den nächsten zwei Jahren die Hälfte! aller Reben abgeschnitten. Und in den benachbarten Dörfern (Alf, Bullay, Neef) und in vielen anderen Moselorten ist eine ähnliche Entwicklung abzusehen. Die meisten der zur Zeit noch aktiven Winzer und Winzerinnen (auch bei den Selbstvermarktern) sind über 60 Jahre alt; und bei wiederum vielen ist keine Nachfolge in Sicht.

Die 2000 Jahre alte Weinkulturlandschaft Mosel wird es bald an vielen Orten nicht mehr geben. Ob die vielbeschworenen Touristen dann noch kommen, um sich Brombeerhecken anzuschauen, darf bezweifelt werden.

Trotz positiver Veränderungen an der Mosel, wie z. B. eine gestiegene Weinqualität bei den Selbstvermarktern, einer langsam ansteigenden Zahl von Lehrlingen und der Rekultivierung von Weinbergen (Calmont) und größerer Kooperationen (Kallfelz), ist der Weinbau in vielen Regionen ernsthaft gefährdet. Angesichts der drohenden Verbrachung von ca. 2000 Hektar Steillagen an der Mosel in den nächsten Jahren, nützen Durchhalteparolen (wir müssen nach vorne schauen statt zu jammern usw.) genauso wenig wie Bittstellereien bei den Großkellereien.

Sie verstellen nur den Blick auf die bittere Realität und verhindern außerdem wirkungsvolle Gegenmaßnahmen. Dazu wären (im kleinen und machbaren) zu zählen:

1. Jeder Selbstvermarkter, der Trauben, Most oder Wein von Kollegen aufkauft, zahlt mindestens einen Basispreis (für Riesling aus der Steillage bei 70 Grad Oechsle) von 1400 Euro und für jedes Grad 50 Euro mehr. (Wir praktizieren dies seit Jahren für einige Hektar Steillagen mit großem Erfolg und bekommen für einen fairen Preis entsprechende Traubenqualitäten geliefert).

2. Jeder Traubenerzeuger, der Weinberge in der Steillage wegen der niedrigen Preise roden will, soll die örtlichen Selbstvermarkter (s. Punkt 1) ansprechen, um bessere Preise zu erzielen.

3. Eine betriebsinterne Umstrukturierung (z.B. bei älteren Winzern mit nachlassender Arbeitskraft) durch Aufgabe von Nebenlagen zugunsten der landschaftsprägenden Steillagen.

4. Gerade bei kleineren Selbstvermarktern kann und muß die Weinqualität durch einfache, kostengünstige Maßnahmen verbessert werden (z. B. durch gezieltere - in der Regel - spätere Lese, geringere Erträge, weniger oder keine Düngung, kontrollierte Gärung etc.) und gleichzeitig muß die - dann auch schmeckbare - Wertigkeit des Steillagenrieslings sich in höheren Preisen niederschlagen. Riesling „Spätlesen“ von - sich gegenseitig unterbietenden - selbstvermarktenden Weingütern aus berühmten Steillagen (Beispiel: Calmont) für 3 Euro, darf es nicht mehr geben.

5. Winzer und Winzerinnen können und müssen mehr Mut und Selbstbewusstsein entwickeln, mehr zu Ihrem Produkt stehen und vom Kunden für Qualität den angemessenen Preis verlangen; und nicht vorauseilend unterstellen, „das kann ich nicht durchsetzen“, ohne es jemals versucht zu haben.

6. Die Vollerwerbsbetriebe sollten die Übernahme von Weinbergen noch mal genauer prüfen; vor allem im Hinblick auf die Hubschrauberspritzung, die ab einer kritischen Untergrenze („Flickenteppich“) für die ganze Gemarkung zu teuer wird.

7. Alle Winzer(innen) und Nichtwinzer(innen), wie private Zimmervermieter, Wirte und andere Gewerbetreibende sollten die Bedeutung der Steillagen höher einschätzen und dies auch entsprechend leben und kommunizieren.

8. Und letztlich sollten alle Beteiligten etwas weniger neidisch und gehässig sondern stattdessen etwas solidarischer und toleranter miteinander umgehen.

Die vorliegende Situationsbeschreibung soll nicht der Resignation Vorschub leisten, sondern wachrütteln und Gegenmaßnahmen provozieren. Den vielen positiven Beispielen der „Bergrettung“ und dem Engagement vieler, vor allem jüngerer, Winzerinnen und Winzer, müssen noch mehr Aktivitäten folgen.

Bildnachweis: Dr. Ulrich Stein


Die Produktion hochwertiger Weine in den landschaftsprägenden Schiefer-Steillagen der Mosel ist und bleibt harte Handarbeit. Und das ist - zumindest teilweise - auch gut so!

Es ist nichts gegen eine maßvolle Mechanisierung durch Flurbereinigung und Parzellenzusammenlegung einzuwenden, die Rücksicht auf den Charakter der Landschaft nimmt, sehr wohl aber etwas gegen das Mechanisieren um jeden Preis. Es sind die Kurven und "Umwege", die der Fluß macht, die krummen und buckligen Trockenmauern, die Unebenheiten und Felsköpfe, die in den Steillagen aus dem Boden ragen, die den Reiz unserer Kulturlandschaft (mit) ausmachen. Für uns sind das "Wegmarken" und "Zeitzeichen", für andere lediglich Hindernisse, die beseitigt oder begradigt werden müssen, damit effizienter und schneller gearbeitet werden kann.

So wurden in den letzten Jahren über 600.000.- Euro Steuergelder zur Entwicklung eines Steillagen-Traubenvollernters ver(sch)wendet, der natürlich nur dort eingesetzt werden kann, wo es keine Hindernisse mehr gibt.

Die Zauberformel dieser und anderer, ähnlich unsinniger Maßnahmen heißt: Produktionskosten senken - Rentabilität erhöhen. Der Preis dafür ist der Verlust von Individualität, sowohl der Landschaft als auch des Weines. Wir pfeifen drauf und bleiben bei unserer selektiven Handlese; und selbstverständlich verzichten wir auch auf den Einsatz einer "Beerensortiermaschine". Wir zahlen lieber unseren Mitarbeitern ein gutes Gehalt. Und weil unsere Kunden dies mittragen, indem sie für einen individuellen Wein, der fair und umweltgerecht produziert wurde, einen angemessenen Preis bezahlen, können wir auch wie zu Römers Zeiten weiterhin mit der Hacke unsere Weinberge bearbeiten.

Darüber hinaus sollte auf weinbaupolitischer Ebene auf eine Neufassung des Bezeichnungsrechts für die Mosel im Rahmen der EU-Weinmarktordnung hingearbeitet werden.

Ein erster und wichtiger Schritt wäre die weitere Umsetzung eines Thesenpapiers, das maßgeblich von Gernot Kollmann (Weingut Immich-Batterieberg, Enkirch) und Gerd Knebel (Weinbauverband Mosel) initiiert und von zahlreichen Winzern, u.a. dem Verfasser dieser Zeilen, mitgetragen und unterstützt wird.

Dabei geht es vor allem darum, „alle rechtsdefinierten Begriffe, die im Anbaugebiet verwendet werden, mit echten Werten zu hinterlegen und damit unsere Region bezeichnungsrechtlich Zukunftsfest zu machen – eine belastbare Dachmarke zu bilden, mit dem Ziel, nach Außen zu verdeutlichen, wofür die Mosel steht“.

Eine Profilierung durch Herausstellen von Orts- und Lagenwein nach dem Grundsatz „Je enger die Herkunft, umso höher die Anforderungen an das Produkt“ sollte zukünftig das „Herzstück“ des neuen Moselbezeichnungsrechts darstellen. So könnte die Basis einer zukünftigen Qualitätspyramide ein Gebietswein „Mosel“ sein, mit einem Hektarertrag von 125 hl, den bisher gültigen Rebsorten und Mindestmostgewichten. Der Mittelbau wäre ein Ortswein, z. B. „Piesporter“ mit einem Hektarertrag von 100 hl, einem Mindestmostgewicht von 65 ° Oechsle und einer eingeschränkten Rebsortenliste wie bisher für die Kategorie „Classic“. Die Spitze der Pyramide wäre der Lagenwein, z. B. „Piesporter Goldtröpfchen“ mit einem Hektarertrag von 80 hl, einem Mindestmostgewicht von 75 ° Oechsle und als Rebsorte nur Riesling oder Spätburgunder. Des weiteren sollten Großlagen sowie alle außerhalb der Qualitätswein/Prädikatswein-Struktur liegenden Sonderbezeichnungen wie Selektion, Steillage S, Classic , Hochgewächs mit einer Übergangsfrist abgeschafft werden.

Dies alles wird zu einer einer schärferen Profilierung des Riesling-Anbaugebietes Mosel führen und damit zur Aufwertung und Erhaltung unserer historischen Steillagen beitragen.

Die 2000jährige Weinkultur an der Mosel hat es verdient, gegen Dornen verteidigt zu werden.




Danke an Arthurs Tochter für das interessante Thema der aktuellen Weinrallye.



1 Kommentar:

  1. Ein Beitrag mit Herzblut und mit vielen guten Vorschlägen. Aber Mosel 125, Ortswein 100 und Einzellage 80 hl/ha als Obergrenzen? Zumindest bei Einzellagen sollte meines Erachtens auf 60, besser 50 hl/ha runter gegangen werden.
    Herzliche Grüße, Joachim Kaiser

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